Muhtasib

Darstellung eines osmanischen Muhtasibs im Kostümbuch von Claes Rålamb (1622‒98), das 1657/58 in Konstantinopel erworben wurde.

Ein Muhtasib (arabisch محتسب, DMG muḥtasib) ist nach dem islamischen Recht eine Person, die die Hisba ausübt, also der religiösen Pflicht zum Gebieten des Rechten und Verbieten des Verwerflichen nachkommt. In den meisten islamischen Staaten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit war diese Aufgabe in Form eines öffentlichen Amtes organisiert, das auch als Ihtisāb (iḥtisāb / احتساب) bezeichnet wurde. In Marokko, Pakistan und der indonesischen Provinz Aceh existiert dieses Amt in unterschiedlicher Ausprägung noch heute.

Die ersten Muhtasibs wurden im 8. Jahrhundert im Irak ernannt. Bis zum 13. Jahrhundert wurde das Amt auch in Ägypten, im Iran, in Syrien, Anatolien, al-Andalus und Indien eingeführt. Die Muhtasibs wurden entweder vom Herrscher, Wesir oder Qādī eingesetzt und konnten üblicherweise auf eine größere Anzahl von Hilfsbeamten zurückgreifen. Die Aufgaben des Muhtasib und die für ihn geltenden Regeln sind in Hisba-Traktaten, staatsrechtlichen Abhandlungen und Verwaltungshandbüchern beschrieben worden. Demnach hatte der Muhtasib die Befolgung der religiösen Vorschriften des Islams zu überwachen, Verstöße aufzudecken und Schuldige zu bestrafen. Seine Aufsichtsfunktion erstreckte sich insbesondere über die öffentlichen Straßen, Märkte, Bäder, Moscheen und Friedhöfe. Auf den Märkten war er für die Gewerbeaufsicht und Aufdeckung von Betrügereien, die Kontrolle der Maße und Gewichte sowie die Überwachung der Preise zuständig.

In der frühen Neuzeit veränderte sich der Charakter des Muhtasib-Amtes in verschiedenerlei Hinsicht. So wurde es bei den Mamluken, im Osmanischen Reich, im Iran und in Marokko üblich, dass der Muhtasib die Preise von Lebensmitteln nicht mehr nur kontrollierte, sondern auch festlegte. Außerdem wurde das Amt, das ursprünglich besoldet war, immer öfter als Steuerpacht vergeben: Amtsanwärter wurden bei der Einsetzung verpflichtet, bestimmte Summen an den Staat abzuführen, wofür ihnen im Gegenzug zugebilligt wurde, bei Händlern und Handwerkern Gebühren und Schutzgelder einzutreiben. Außerdem verlor der Muhtasib in diesen Staaten seine Aufgabe als Wächter über die Einhaltung der religiösen Vorschriften. Das Bewusstsein für die religiöse Dimension des Amtes ging allerdings nie verloren. So gab es im Laufe der neueren Geschichte auch immer wieder Versuche, den Muhtasib in seiner Rolle als Moralwächter wiederzubeleben, so bei den Timuriden, im Mogulreich unter Aurangzeb, im Kalifat von Sokoto, im Emirat Buchara, in der indonesischen Provinz Aceh und in der pakistanischen Nordwestlichen Grenzprovinz.

Insgesamt war der Muhtasib eine der wichtigsten Institutionen im sozialen Gefüge mittelalterlicher und frühneuzeitlicher islamischer Städte.[1] Susanna Narotzky und Eduardo Manzano sehen die große Bedeutung, die der Muhtasib in der islamischen Geschichte als Aufseher der Märkte hatte, als ein Indiz dafür an, dass die Wirtschaft in der islamischen Welt vom Konzept der moralischen Ökonomie beherrscht war.[2] Das Muhtasib-Amt wurde im Mittelalter in einzelnen christlichen Staaten Spaniens und des Vorderen Orients übernommen. Auch das moderne Amt des Ombudsmans wird rechtsgeschichtlich auf den Muhtasib zurückgeführt.

  1. Vgl. Yaron Klein: Between Public and Private: An Examination of ḥisba Literature. 2006, S. 41.
  2. Vgl. Susanna Narotzky, Eduardo Manzano: “The Ḥisba, the Muḥtasib and the Struggle over Political Power and a Moral Economy: An Enquiry into Institutions” in John Hudson, Ana Rodriguez (Hrsg.): Diverging paths? The shapes of power and institutions in medieval Christendom and Islam. Brill, Leiden, 2014, S. 30–55, hier S. 48.

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